Ökonomin im Interview: Ist die Schuldenbremse nun eine gute oder eine schlechte Idee? German

Die Schuldenbremse sorgt für Zoff. Die einen wollen sie so schnell wie möglich abschaffen, die anderen halten eisern an ihr fest. Im Interview mit ntv.de erklärt Ökonomin Philippa Sigl-Glöckner, warum eine Reform die bessere Lösung sei und wie die Schuldenbremse der Zukunft aussehen könnte.

ntv.de: Die Politik streitet sich wegen der Schuldenbremse. Es scheint dort nur zwei Positionen zu geben: glühende Anhänger und vehemente Gegner. Auf welcher Seite stehen Sie?

Philippa Sigl-Glöckner: Auf keiner der beiden. Es ist absolut sinnvoll und notwendig, eine Regel für staatliche Kreditaufnahme zu haben. Die Schuldenbremse ist in einem Teil sogar recht fortschrittlich, da sie keynesianische Finanzpolitik erlaubt. Der Staat darf mehr Schulden aufnehmen, wenn die Wirtschaft nicht ausgelastet und die Arbeitslosigkeit hoch ist. Im Gegenzug sollte der Staat sparen, wenn die Wirtschaft voll ausgelastet ist. Das ist eine gute Idee, die sollte man umsetzen. Dennoch sollte die Schuldenbremse unbedingt reformiert werden.

Warum?

Die Frage ist: Wann ist eine Wirtschaft voll ausgelastet? Die Antwort der Schuldenbremse: Das ist dann der Fall, wenn die Menschen ungefähr so viel arbeiten wie in der Vergangenheit.

Und das ist keine gute Grundlage?

Nein. Allein schon deshalb, weil in Deutschland die Erwerbsbeteiligung von Frauen früher niedriger war als bei Männern. Das Gesellschaftsbild hat sich mittlerweile geändert. Mehr Frauen wollen arbeiten. Noch wichtiger: Eine der größten finanziellen Herausforderungen sind die künftigen Renten. Es geht vor allem um die zu niedrigen Renten für Frauen, die in der Vergangenheit wenig eingezahlt haben und deswegen vor einer erheblichen Rentenlücke stehen. Das muss der Staat aus dem Bundeshaushalt bezuschussen. Die Zuschüsse zur Rente liegen derzeit bei 130 Milliarden Euro. Dieses Problem sollte die Bundesregierung unbedingt angehen, und zwar, indem sie dafür sorgt, dass alle, die können und wollen, in möglichst gut qualifizierten Jobs arbeiten. Denn je mehr Menschen genug für die Rente verdienen, desto weniger muss der Staat unterstützen. Investitionen in Erziehung und Bildung sind daher heute ganz besonders wichtig.

[…]

Befürworter der Schuldenbremse argumentieren: Sie setze der Verschuldung des Staates enge Grenzen und verhindere, dass eine Regierung das Geld zum Fenster hinauswirft.

Die Schuldenbremse begrenzt nicht die Staatsschulden. Sie begrenzt die Neuverschuldung der Regierung, also wie viel sie im Haushalt mehr ausgibt als sie einnimmt. Die Neuverschuldung ist aber nur ein Faktor, der die Entwicklung der Schuldenquote beeinflusst - Zinsen, Wachstum, Inflation spielen oft eine größere Rolle.

Die Schuldenbremse begrenzt die Nettokreditaufnahme des Bundes auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Ist es sinnvoll, die erlaubte Neuverschuldung an eine bestimmte Kennziffer zu koppeln?

Gute Finanzpolitik lässt sich doch nicht über einen Algorithmus definieren. Die Schuldenbremse in der gegenwärtigen Form erlaubt es Politikern, sich der Verantwortung zu entziehen. Sie behaupten: Wir halten die Schuldenbremse ein und deshalb ist unsere Finanzpolitik gut. Und wird die Bremse nicht eingehalten, sei die Finanzpolitik schlecht. Aber es muss doch darum gehen, die Schuldenbremse auszulegen und das Wie und Warum der Bevölkerung zu erklären. Im Grundgesetz stehen wenige Sätze zur Schuldenbremse. Der Rest ist Auslegungssache in Form von Gesetzen und Verordnungen. Ich wünsche mir, dass darüber geredet wird, wie wir die Schuldenbremse so gestalten, dass sie in unsere Zeit passt und uns ermöglicht, auf die sehr großen Herausforderungen angemessen zu reagieren.

[…]

Soll der Staat aus Gründen der Tragfähigkeit der Schulden besser nur das Geld ausgeben, das er einnimmt?

Warum sollte er das? Kein Kiosk-Besitzer würde so handeln. Auch er muss investieren und nimmt dazu im Regelfall einen Kredit auf. Aber es gibt noch einen fundamentaleren Punkt: Staatsschulden sind etwas ganz anderes als Privatschulden. Der Kiosk-Besitzer muss schauen, dass er genug verdient, um seinen Kredit bedienen zu können. Der Staat stellt das Geld, mit dem er seinen Kredit bezahlt, selbst her, er kann nicht insolvent gehen.

[…]

Können Sie das an einem Beispiel erläutern?

Nehmen wir das geplante Intel-Werk in Magdeburg. Der Bund fördert die Fabrik mit zehn Milliarden Euro. Bei so viel Geld sollte man vorher klären, was diese Subvention tatsächlich bringt. Wie viele Arbeitsplätze entstehen? Wie hoch werden die Steuereinnahmen sein? Wie profitieren Zulieferer und andere Wirtschaftszweige? Meine Hoffnung ist immer noch, dass diese Kalkulation existiert, ich sie nur nicht kenne.

Hat Deutschland also nur ein Ausgabenproblem, und die Schuldenbremse zwingt, die richtigen Prioritäten zu setzen?

Das wird ja immer wieder behauptet. Aber der Mechanismus erschließt sich mir weder theoretisch, noch hat er in der Praxis funktioniert. Auch unter der Schuldenbremse haben die Ausgaben, hinter denen die stärksten politischen Interessen stehen, nicht die mit dem größten ökonomischen Nutzen Vorrang. Nehmen wir das Beispiel umweltschädliche Subventionen - darunter etwa das Dieselprivileg und die Pendlerpauschale. Die haben einen Umfang von 40 Milliarden Euro. Wir fördern also CO2-Emissionen mit 40 Milliarden, anstatt das Geld in die Dekarbonisierung des Verkehrs und der Autoindustrie zu stecken. Das widerspricht den Klimazielen. Doch hinter jeder einzelnen Subvention steht eine politische Kraft. Deswegen ist es auch so schwer, diese Subventionen tatsächlich zu reduzieren. Dabei hilft nicht die Schuldenbremse, sondern der direkte Blick auf die politischen Kräfteverhältnisse.

[…]

Gehört es zur Generationsgerechtigkeit, den künftigen Generationen keinen Schuldenberg aufzutürmen?

Wie kann es generationengerecht sein, unseren Kindern marode Schulen, eine miese Infrastruktur und eine Wirtschaft, die Wachstumspotenzial verliert, zu hinterlassen? Deutschland hat das Glück sehr niedrige Zinsen auf die Staatsschuld zu zahlen. Solange wir Wachstum haben, fallen die Schulden von alleine. Ein Verlust an wirtschaftlicher Substanz ist aber sehr schwer wieder aufzuholen. Finanzpolitik ist immer mit Risiko behaftet, es ist eine Frage der Abwägung. Und aus meiner Sicht setzen wir hier zu oft die falschen Prioritäten.

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